Sängerin Beth Gibbons
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Solo-Album von Beth Gibbons: Schönheit der Hoffnungslosigkeit

Mit ihrem ersten Soloalbum entwickelt Beth Gibbons einen eigenen Sound fernab der Trip-Hop-Tage mit ihrer Band Portishead. Geblieben sind: Ihre unverkennbare Stimme und die darin liegende endlose Schwere.

Aufdringlich ist Beth Gibbons wirklich nicht mit ihrem künstlerischen Output: 30 Jahre nach Portisheads Debüt Dummy das erste Soloalbum. 22 Jahre ist die Zusammenarbeit mit Rustin Man her, 16 Jahre ist die letzte Portishead Platte her. Und von der Ankündigung des Soloalbums bis zum Release waren es stolze elf Jahre. Das sind bekanntlich: Äonen, in der Zeitrechnung des Pop.

Ein Schnellschuss ist "Lives Outgrown" daher also nicht, sondern eine Dreiviertelstunde voll komplexer Klang-Expeditionen. Jeder Sekunde hört man Gibbons und ihren Produktions-Partnern Lee Harris von einst TalkTalk und James Ford von Simian Mobile Disco die Entdeckerfreude am musikalischen Umweg und ausschweifenden Experiment an.

Ausschweifendes Experiment

Vom Portishead-Sound ist – in Anführungsstrichen – nur Gibbons’ Stimme übrig geblieben, Breakbeats sucht man vergeblich auf "Lives Outgrown". Und findet dafür eine schaurig-betörende Melasse aus Geige, Cello, Harmonium, verzerrten Flöten oder singenden Sägen. Und eben: diese Stimme, die schon vor 30 Jahren so gramerfüllt klang, als hätte Beth Gibbons schon damals, in ihren Endzwanzigern, genug Kummer für zehn Leben durchgemacht.

Nächstes Jahr wird Beth Gibbons 60 – ein gefährliches Alter im Musikgeschäft: Gefährlich hoch die Wahrscheinlichkeit, dass selbstzufrieden und -gerecht auf das eigene Schaffen zurückgeblickt wird. Für solchen Quatsch hat Gibbons keinen Nerv. Ihre Themen sind Tod und Vergänglichkeit, Angst und Abschied – und die Entfremdung vom eigenen Körper während der Wechseljahre.

Vergänglichkeit, Angst, Abschied

Durch alle zehn Songs auf "Lives Outgrown" zieht sich zutiefst melancholisches Unbehagen. Da helfen auch die Kinderchöre nichts – wenn die "we’re all going to nowhere" singen. Wie tröstlich wäre es, könnten wir Interviews von Gibbons lesen, nein noch besser anschauen, Homestories, in denen sie uns ihr beschauliches Familienleben zeigt und uns versichert: alles halb so wild. Aber selbstverständlich fängt sie mit sowas jetzt auch nicht mehr an, wo sie es doch in ihrer ganzen 30-jährigen Karriere tunlichst vermieden hat, über ihre Kunst zu sprechen. Am Ende sind wir auf uns allein gestellt.

Schwere und Wärme

Die Angst vor Verlust, Einsamkeit und dem Älterwerden kann uns also selbst Beth Gibbons nicht nehmen. Doch so unheimlich und tieftraurig dieses Album sicherlich ist, so wunderschön ist es auch – und bei aller Schwere: voller menschlicher Wärme. Und weil Beth Gibbons weiß, wie wir Menschen so gestrickt sind, entlässt sie uns zum Schluss ihres Albums auf ungewisse Zeit mit einem der schönsten Songs ihrer Karriere: Sie singt von einem verstorbenen Freund, die Vögel zwitschern hinein in die Aufnahme, ein bisschen kommt die Sonne durch – so friedlich klingt es also, wenn man die Hoffnungslosigkeit schließlich akzeptiert.

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